Aktuell HodenHodenkrebs Männlich, jung, Hodenkrebs gefährdet.

Männlich, jung, Hodenkrebs gefährdet.

von menscore
Fachliche Beratung: Dr. med. Pottek, Prof. Heidenreich, Dr. med. Schroeder
© LoloStock - Fotolia.com
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Zwischen 20 und 40 Jahren haben Männer ein besonders hohes Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken, die gesetzlichen Krankenkassen zahlen Frühererkennungsuntersuchungen aber erst ab 45. Was zu ändern wäre. Ein Plädoyer für mehr Schutz für die männlichen Gonaden

Im Jahr 2010 erkrankten in Deutschland rund 4.000 Männer an Hodenkrebs, ungefähr 150 starben daran. Auf Männer aller Altersgruppen bezogen, gehört diese Erkrankung zwar mit einem Anteil von 1,5 Prozent an allen Krebserkrankungen zu den selteneren Krebsarten. In der Altersgruppe der 25- bis 45jährigen Männer ist er aber der häufigste bösartige Krebs. „Während über alle Altersgruppen etwa zehn Erkrankungsfälle auf 100.000 Männer pro Jahr auftreten, sind es im Alter von 25-39 etwa 22 Erkrankungsfälle auf 100.000 Männer pro Jahr. Etwa drei Viertel aller Fälle treten zwischen 25 und 49 Jahren auf“, sagt Dr. Klaus Kraywinkel, Fachgebietsleiter im Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut (RKI) in der Abteilung Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring. Nach Auskunft des RKI im Jahr 2013 hat sich die Erkrankungszahl seit 1980 verdoppelt. Kraywinkel geht davon aus, dass es sich um einen echten Anstieg handelt, der auch international seit einigen Jahrzehnten zu beobachten ist, sich derzeit allerdings nicht weiter fortzusetzen scheint.

Bei Früherkennung kann der Hoden erhalten werden

Zwar können die Patienten fast immer geheilt werden – die Heilungschancen stehen selbst bei dem aggressiveren Krebstyp immer noch bei ca. 95 Prozent. Doch macht der Zeitpunkt von Entdeckung und Therapiebeginn einen großen Unterschied für die Betroffenen:

Wird der Tumor früh genug entdeckt, kann manchmal schon ausreichen, nur den Tumor aus dem Hoden herauszuoperieren, den betroffenen Hoden selbst aber zu erhalten. Danach wird der Patient nur noch für Nachkontrollen einbestellt (so genannte Surveillance). „Die organerhaltende Hodentumorchirurgie gewinnt immer mehr an Gewicht und ist mittlerweile auch in die nationalen und internationalen Leitlinien eingegangen“, sagt Professor Axel Heidenreich, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum der RWTH Aachen, der mehrere Studien zur organerhaltenden Hodentumorchirurgie geleitet hat. 

Zu spät entdeckt? Heilung nur mit schweren Folgen möglich

Wird der Krebs jedoch später entdeckt, muss dem Patienten der betroffene Hoden – nebst Samenstrang und Lymphknoten der gleichseitigen Leistenregion, ganz entfernt und – je nach Art und Streuungsgrad des Tumors – zusätzlich zur OP auch noch eine Chemotherapie oder Strahlenbehandlung durchgeführt werden. Diese Maßnahmen führen bei den meist noch jungen und kinderlosen Männern zum einen zur irreversiblen Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit. Zum anderen sind Hodentumorpatienten im höheren Alter ab 40 bis 60 Jahren drei Mal häufiger von einem Testosteronmangel betroffen als die Normalbevölkerung und benötigen ständigen Hormonersatz. In Abhängigkeit davon, ob und wie vielen Chemotherapien die Patienten unterzogen wurden, haben sie in späteren Jahren außerdem ein erhöhtes Risiko, weitere Tumoren zu entwickeln, u.a. Leukämien oder Lymphome. „Wir wissen aus einer Vielzahl von klinischen Untersuchungen, dass eine Zeitverzögerung von mehr als 3 Monaten zwischen erstem Symptom und letztendlicher Diagnose die Rate an Metastasen deutlich erhöht. Dadurch wird eine intensive kombinierte Behandlung von Chemotherapie und ausgedehnter Operation notwendig, die nicht nur zu einer höheren Rate von akuten Nebenwirkungen führt, sondern auch die Gefahr von Langzeittoxizitäten 20-30 Jahre nach Abschluss der Therapie signifikant steigert“, berichtet Heidenreich.

„Aus der Sicht des erfahrenen und spezialisierten Urologen erscheint es immer wieder traurig, wenn ein junger Mann mit einem weit fortgeschrittenen Hodentumor aufgegriffen wird, der ein halbes Jahr früher beste Heilungschancen gehabt hätte“, sagt der Hamburger Urologe Tobias Pottek, Chef der Urologischen Klinik des Asklepios Westklinikum in Hamburg-Rissen.

Kassen zahlen trotzdem nicht

In Deutschland ist die Hodenuntersuchung dennoch keine Kassenleistung. Wer sich die Hoden auf Krebs untersuchen lassen will, muss die Untersuchung aus eigener Tasche bezahlen – es sei denn, man hat bereits Beschwerden oder eine Unregelmäßigkeit an seinen Hoden ertastet. In dem Fall ist die Krankheit aber oft schon weiter fortgeschritten und erfordert die umfänglicheren Therapiemaßnahmen mit all ihren akuten- und Langzeit-Nebenwirkungen.

Zwischen der letzten Hodenuntersuchung im Rahmen der gesetzlichen Vorsorge, nämlich im Alter von zwölf bis 14 Jahren und der gesetzlichen Krebsfrüherkennung für Männer ab 45 klafft also eine große Lücke. Und in genau dieser Lücke hat der Hodenkrebs seine größte Häufigkeit.

Bis Mitte 2011 gab es immerhin die regelmäßigen Hodenuntersuchungen aller 18jährigen durch die Ärzte bei den Musterungsbehörden, bei denen immer wieder Hodentumore entdeckt wurden. „Durch den Wegfall der Wehrpflicht im Juli 2011 entfallen nun aber diese Untersuchungen. Die frühzeitige Entdeckung der Krankheit wird dadurch in einigen Fällen verzögert“, sorgt sich der auch international renommierte Urologe Pottek, der – früher als Arzt der Bundeswehr – seit mehr als 25 Jahren sehr viele junge Männer mit Hodentumoren behandelt.

Ob eine Hodenuntersuchung in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen und damit auch für gesetzlich Versicherte zur Kassenleistung wird, darüber entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Dieses höchste Gremium wird allerdings nur dann tätig, wenn die Aufnahme einer solchen Leistung von einem seiner Mitglieder, zum Beispiel der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Kassenärztlichen Vereinigungen, dem GKV-Spitzenverband oder der Patientenvertretung, beantragt wird. Laut G-BA hat bisher aber keiner der antragsbefugten Mitglieder einen entsprechenden Antrag gestellt.

Gegner wollen Studien

Gegner von Kontrolluntersuchungen auf Kassenkosten argumentieren mit der geringen Zahl der Erkrankungs- und Todesfälle, dem Mangel an verlässlichen Studien, die die Vorteile einer Früherkennungsuntersuchung aufzeigen sowie der guten Prognose der Erkrankung.

Tatsächlich ist die Sterberate mit 0,4 Todesfällen auf 100.000 Männer im Jahr relativ niedrig. Aber: Zum einen ist die Anzahl von Erkrankungs- und Todesfällen nach dem maßgeblichen Gesetz kein Kriterium für die Aufnahme von Leistungen der Früherkennung von Krankheiten (gemäß §§ 25 und 26 SGB V); und zum anderen „darf man nicht vergessen, dass es sich um junge Männer handelt, und sich schon deshalb der mögliche Erhalt der Hoden sowie geringst-invasive Therapiemaßnahmen und deren Folgen es unbedingt lohnen, eine unkomplizierte Lösung für die Detektion von Hochrisiko-Patienten und damit eine angemessene Früherkennung des Hodenkrebses zu finden“, sagt Dr. Pottek.

Dass es keine Studien gibt, die einen Vorteil der Früherkennungsuntersuchung von Hodenkrebs beweisen würden, ist zudem höchst missverständlich. Es gibt nämlich deshalb keine Studien, die einen Vorteil belegen, weil erst gar keine Studien mit dieser Fragestellung durchgeführt wurden. Aber es ist ein großer Unterschied, ob es keine Vorteile einer Untersuchung gibt, oder ob es keine Untersuchung zu den Vorteilen gibt.

Hier stellt sich eine weitere, praktische Frage: Wer ist zuständig für entsprechende Studien? Der GKV-Spitzenverband ist der Meinung, Studien seien „von denen anzustrengen, die eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode propagieren, um letztlich damit auch ökonomische Vorteile zu erzielen“. „Es geht nicht um ökonomische Vorteile in der Untersuchung und Behandlung, sondern um eine bessere medizinische Versorgung junger Männer“, kontert Dr. Axel Schroeder, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen (BDU).

Aber: „An Hodenkrebs kann kaum etwas verdient werden“, sagt Urologe Pottek. „Erstens ist die Krankheit selten, und zweitens sind sowohl für Diagnostik als auch für die Therapie keine spezifischen Mittel und Methoden erforderlich, die patentiert werden könnten.“ Wer mit der ungünstigen Studienlage gegen die Früherkennung argumentiert, kann sich also auf eine lange Lebensdauer dieses Arguments verlassen.

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